Sabine Siegrist
Interview
Interview: Fabian Schwarzenbach Foto: zvg

Sabine Siegrist

Jean-Henri Dunant wurde 1859 Zeuge der Schlacht von Solferino. Seine Erlebnisse führten schlussendlich zur Gründung des Roten Kreuzes. Wie viel von Dunants Ideen leben Sie heute noch?


Wir helfen auch heute noch möglichst unbürokratisch Menschen, die sich in einer prekären Lebenslage befinden, unbesehen ihrer Herkunft. Auch basiert unsere Arbeit nach wie vor sehr stark auf dem Einsatz von Freiwilligen. Wie die Frauen, die Dunant in Solferino bei der Pflege der verletzen Soldaten uneigennützig geholfen haben. Alleine im Kanton Basel-Stadt sind über 500 Personen freiwillig und ohne Entgelt für uns tätig. Zwar haben wir im Kanton nicht direkt mit verletzten Soldaten zu tun, aber unser Einsatz für die in den Kriegs- und Krisengebieten oft psychisch versehrten Flüchtlinge kommt den Ideen Dunants sicher auch sehr nahe.


Was macht der Basler Ableger des Roten Kreuzes genau?


Unsere Angebote decken die gesamte Lebensspanne ab und sind sehr vielfältig:

Wir entlasten Familien in schwierigen Situationen und wir möchten älteren Menschen ermöglichen, so lange wie möglich zu Hause leben zu können. Dazu haben wir Angebote wie den Fahrdienst, den Notruf oder den Entlastungsdienst für pflegende Angehörige.

Bekannt sind wir in Basel aber auch für unsere Bildungsangebote. Der Lehrgang Pflegehelfer/-in SRK ist ein Garant dafür, dass auch bei zunehmender Anzahl älterer Menschen, niederschwellige Betreuung und Pflege zu Hause gewährleistet werden kann.

Wir führen zwei Secondhand-Kleiderläden und verkaufen dort nicht nur gute Kleider zu sehr fairen Preisen, sondern bieten auch rund 20 Personen einen begleiteten Arbeitsplatz und bringen damit Struktur in ihr Leben. In unserem Nähatelier fertigen wir ausserdem selber Kleider und Fasnachtskostüme an und schaffen damit weitere Arbeitsplätze für Berufseinsteigerinnen.

Sehr gefragt sind auch unsere Eins-zu-Eins-Integrationsangebote. So haben wir in den letzten zwei Jahren rund 200 Flüchtlinge im Alltag begleitet und leisten mit dem Projekt „Sprungbrett“ Unterstützung beim Einstieg ins Berufsleben.

Und als Spezialität des Roten Kreuzes in Basel betreiben wir ein stationäres Wohnheim sowie ambulante Wohnbegleitung für rund 60 Klientinnen und Klienten.

Speziell erwähnenswert sind sicher auch unsere Einsätze, welche durch die rund 300 jungen Freiwilligen des Jugendrotkreuzes geleistet werden: diese veranstalten z.B. Spielnachtmittage im Asylzentrum, bieten Aufgabenhilfe an und besuchen ältere Menschen im Altersheim.

Sie sehen, das Angebot des Roten Kreuzes ist extrem vielfältig und in vielen Bereichen über die Jahre aus bestimmten Notsituationen heraus gewachsen.


Gelingt es Ihnen die Bevölkerung von der Notwendigkeit des Roten Kreuzes zu überzeugen?


Das Rote Kreuz ist ein sehr starkes Symbol und die Bevölkerung bringt uns sehr viel good will entgegen. Das spüren wir immer wieder. Wenn wir an eine Türe klopfen, sind uns die Menschen meist wohlgesinnt. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass unsere Angebote überzeugen und wir seit über 130 Jahren hier in Basel im Einsatz sind.


Ist es einfach Helferinnen und Helfer zu finden?


Ich bin froh, dass ich diese Frage mit „Ja“ beantworten kann. Phasenweise haben wir sogar zu wenig Angebote für Helferinnen und Helfer resp. Freiwillige. Das hat sicher auch mit dem guten Ruf der Organisation zu tun, aber auch damit, dass die Leute wissen, dass bei uns eine gute Freiwilligenbetreuung vorhanden ist. Trotzdem kann es durchaus vorkommen, dass wir für ein bestimmtes Projekt oder ein neues Angebot lange und intensiv nach Freiwilligen suchen müssen.


Was für Aufgaben hat eine Geschäftsleiterin des Roten Kreuzes?


Dieselben Aufgaben wie jede andere Geschäftsleiterin. Ich verantworte den gesamten Betrieb und sorge zusammen mit dem ehrenamtlichen Vorstand dafür, dass wir unsere strategischen Ziele erreichen und unsere Finanzen stimmen.

Schön ist für mich, dass ich mich jeden Morgen auf meine Arbeit freue, weil ich weiss, dass unsere Angebote wirklich gebraucht werden und wir vielen Menschen damit guttun.


Zurzeit ist eine Art Konkurrenzkampf um die Spendengelder im Gange. Es wird sogar in TV-Spots um mögliche Legate und Hinterlassenschaften geworben. Ist das nicht ein ruinöser Kampf?


Ein wenig Konkurrenz belebt. Ich finde es gut, dass wir heute die Möglichkeit haben, uns dort zu engagieren, wo wir wollen und dass der Konkurrenzdruck auch dafür gesorgt hat, dass sehr effektiv mit den Spendengeldern umgegangen wird. Manchmal lohnt es sich jedoch, beim Fundraising einen klaren Fokus zu setzen. Und manchmal lohnen sich hier auch Partnerschaften mit anderen gleichgesinnten Organisationen. Das zeigt das Beispiel der Glückskette, welche die Sache in den Vordergrund stellt und für mehrere Hilfswerke zusammen Geld sammelt.


Es wird kritisiert, dass gerade ältere Personen solchen Avancen schlecht widerstehen können. Verstehen Sie diese Kritik?


Ich sehe am Beispiel meiner Eltern, dass es Versuche gibt, ältere Menschen zu etwas zu überreden und emotionalen Druck aufzusetzen. Organisationen mit einem Verhaltenscodex, wie wir ihn als ZEWO-zertifizierte NPO befolgen, setzen sich jedoch zum Ziel, sachlich zu überzeugen und nicht zu überreden. Das beruhigt mich.


Was wünschen Sie sich für das noch junge Jahr?


Dass wir wieder wegkommen von dieser „me first“-Mentalität und uns auf Grundwerte wie Solidarität und Menschlichkeit unseren Mitmenschen gegenüber besinnen.


Und was für Basel speziell?


Dass Basel weiterhin als gutes Beispiel in Fragen der Unterstützung von Menschen in Not vorangeht und gute Integrationsangebote für alle seine Bewohner- und Bewohnerinnen beibehält oder schafft.


Wie schalten Sie in Ihrer Freizeit ab?


Ich koche (und esse) sehr gerne, am liebsten mit Familie oder Freunden. Und dann gehe ich als ursprünglich Geografin immer mal wieder auf kleinere oder grössere Reisen. Das vergrössert die Offenheit und Toleranz für das sogenannt „Fremde“ und bringt Gelassenheit in meinen Lebensalltag.

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Sabine Siegrist

Die promovierte Geographin (Uni Basel) ist seit Sommer 2015 Geschäftsleiterin des Schweizerischen Roten Kreuzes in Basel. Vorher arbeitete sie in gleicher Funktion bei AFS in Zürich.